Heimat - gerettete Zunge
| 9783863560515 |
25,00 € *
Die rumäniendeutsche Literatur
in der Bundesrepublik Deutschland
Mehr als zwanzig Jahre nach der letzten Ausreisewelle der deutsch schreibenden und publizierenden Autoren aus Siebenbürgen, dem Banat und Bukarest drängt sich eine Reihe von Fragen auf, die in der Zwischenzeit von der rumäniendeutschen Germanistik unter unterschiedlichen Aspekten aufgeworfen worden sind. Es handelt sich dabei auch um den Zusammenhang zwischen literarischem Erbe, Bewahrung kultureller Traditionen, historischer Aufarbeitung von politischer Verfolgung und ideologischen Irrwegen, Beurteilung ästhetischer Verfahren und die Rezeption einer randständigen Literatur im bundesdeutschen Literaturbetrieb. Einige dieser Themen sind in den 1990-er und in den 2010-er Jahren auf wissenschaftlichen Tagungen in Deutschland und in Rumänien bereits erörtert worden. Parallel zu diesen Veranstaltungen trafen sich die aus ihrer ehemaligen Heimat stammenden Schriftsteller mit den wenigen in Rumänien verbliebenen Autoren zu Lesungen und Diskussionen im Banat und in Siebenbürgen, aber auch im Rahmen von Lesungen der germanistischen Fakultät an der Universität in Bukarest.
Die vom 16.18. November 2012 in die Tagungsstätte Heiligenhof (Bad Kissingen) eingeladenen Literaten und Literaturwissenschaftler sollten sich, angeregt von den Veranstaltern, einer von diesen oben genannten Unternehmungen abweichenden Fragestellung widmen. Unter dem Thema Heimat gerettete Zunge. Die rumäniendeutsche Literatur in der Bundesrepublik Deutschland hatten die renommierten Vertreter der schreibenden Zunft aus den Bereichen Prosa, Lyrik, Dramatik und Essayistik die Aufgabe, aus ihren Texten zu lesen und sich anschließend den Fragen der Moderatoren und des Publikums zu stellen. Gemeinsam mit zwei vom ExilP.E.N. eingeladenen Vertretern der Banater Literaturszene sollte auf dieser Tagung auch der Erfahrungsaustausch zwischen den in der Heimat verbliebenen und den in Deutschland angekommenen Protagonisten bewertet und befördert werden.
Auf dem Hintergrund dieser beiden Intentionen spielte der Aspekt der politischen und ideologischen Implikationen, denen der Literaturbetrieb in Rumänien ausgesetzt war, nur eine marginale Rolle. Vielmehr ging es in den durch die Moderatoren eingeleiteten Lesungen um die thematischen und ästhetischen Implikationen in den Werken der vortragenden Autoren und ihre Rezeption in den bundesdeutschen Fachzeitschriften, wie auch zum Teil um das Echo solcher Texte in deutschsprachigen Zeitungen in Rumänien. Dieser wechselseitige Transfer wurde durch die themenbezogenen Referate der Literaturwissenschaftler insofern bereichert und vertieft, als die auf der Tagung präsentierten und in den Tagungsband nunmehr aufgenommenen Essays ein breites Spektrum an literaturhistorischen, rezeptionsästhetischen und literatursoziologischen Aspekten anboten. Diese zwischen die Lesungen eingeschalteten Referate wie auch an die jeweiligen Lese-Panels anschließenden Vorträge trugen zu den besonderen Lerneffekten der Tagung bei.
Heimat gerettete Zunge? Der Versuch einer Antwort wirft eine Reihe von Implikationen auf, die in neue Fragestellungen münden wie: Was und wie wurde etwas gerettet von dem literarischen Erbe, das in den schöpferischen Werken der auf Deutsch schreibenden Autoren angelegt ist? Welchen Rezeptionsbedingungen sind Texte ausgesetzt, die meist unter großen Schwierigkeiten und noch dazu in zensierter Fassung verlegt wurden? Was also ist gerettet worden, aufgehoben in der Literaturkritik, eingemündet in die entstehende Literaturgeschichte? Was ist und was wird bewahrt, um denen etwas zu überliefern, die in der deutschen Sprachheimat geblieben sind und seit 1990 von den literarischen Werken ihrer Schriftsteller und Dichter aus den wieder entstandenen kleinen Verlagsanstalten geistig versorgt werden? Auf welche Weise aber werden auch die aus ihren rumänischen Siedlungsorten in die Bundesrepublik Deutschland ausgewanderten Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen mit Büchern ihrer Lieblingsautoren bekannt gemacht? Die sich daraus ergebende Frage zielt auf die Brückenfunktion derjenigen Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die in dieser Anthologie versammelt sind wie auch derjenigen Autorinnen und Autoren, die sich wie Herta Müller und Richard Wagner einer weltweiten und deutschlandweiten Anerkennung erfreuen und aus unterschiedlichen Gründen nicht an der Tagung teilnehmen konnten. Es bleibt also die Frage: Welche literarischen Schätze transportieren diese Werke aus den beiden, nunmehr sprachlich ausgedünnten großen Siedlungsgebieten in die bundesrepublikanische literarische Öffentlichkeit? Mit welchen transformierten ästhetischen Verfahren sind diejenigen Texte ausgerüstet, die vor allem in den letzten zwanzig Jahren für den deutschen Literaturmarkt geschaffen wurden?
Erweist sich die Zungen-Metaphorik in dem eingangs zitierten Gedicht von Hellmut Seiler als Wegweiser in eine vielschichtig zerklüftete, von vielen Unstimmigkeiten und Entfremdungen erfüllte Heimat als der existentiell und schöpferisch ideale neue Ort? Mit welchem Zungenschlag sind die mehr als drei Dutzend bereits in Rumänien publizierenden Autorinnen und Autoren in der neuen Heimat angekommen? War es noch eine alte Heimat, die nach den Worten von Seiler sich an sich selbst verschluckt? Oder ist es nunmehr eine neue Heimat, in der die Angekommenen sich wieder einer Sprache bedienen, in der die geretteten sprachlichen Wurzeln neu verortet werden müssen? In der ihr randständiges Idiom sich auf dem umkämpften literarischen Feld behaupten muss. Und nicht zuletzt: Gibt es bemerkenswerte literarische und ästhetische Ansätze, in denen die Abwendung von den tradierten stilistischen und ethnisch fundierten, oft auch ideologisierten Schreibweisen die Voraussetzung für den Durchbruch auf dem turbulenten deutschsprachigen Literaturmarkt sind? Zeichnen sich fremde Verfahren ab, die gewohnte, eingefahrene Darstellungen von historischen Abläufen und pathologischen Handlungsweisen durchbrechen?
Mit solchen Fragestellungen ausgerüstet erkundigen sich die Veranstalter der Tagung, neben den bereits erwähnten ästhetischen Aspekten der abgedruckten Texte, auch nach dem informativen Gewinn von Texten. Sie führen uns nicht nur in die alte Heimat, sondern entfernen sich aus den nationalen Gefilden, um sich in transkulturellen Kontexten mit Cross-over-Erkenntnissen aus unterschiedlichen Wahrnehmungsbereichen auszustatten. Auf diesen breit angelegten Textfeldern kommen unterschiedliche perspektivische Einstellungen gegenüber der beschriebenen Welt zum Ausdruck. Das führt unter anderem auch zur Frage, ob bestimmte narrative Verfahren an Attraktivität gewinnen, wenn sie sich eines regionalsprachlichen Kolorits bedienen, um kulturelles Substrat zu retten und auch die Generationen übergreifende Gedächtnisarbeit zu fördern.
Die vorliegenden Tagungstexte und ergänzenden Beiträge vermögen zum Beispiel bestimmte Einblicke in politisch brisante Phasen der rumänischen Nachkriegsgeschichte zu geben. Hans Bergel, der seit 1968 in der Bundesrepublik lebt, hat in zahlreichen Romanen und Erzählbänden seine repressiven Erfahrungen mit dem kommunistischen Regime aufgearbeitet. In den beiden Erzählungen Der Barackentrottel und Der Major und die Mitternachtsglocke, die den Bereich der Prosa einleiten, berichtet ein Ich-Erzähler über seine Begegnung mit Häftlingen in einer Baracke im Straflager und über den Ablauf einer Minute vor der Urteilsverkündigung im berüchtigten Kronstädter Schriftsteller-prozess im Jahr 1959. In beiden narrativen Strukturen überwiegt die distanzierte Beschreibung der Umstände, unter denen die Häftlingen und Untersuchungsgefangenen der staatlichen Willkür ausgeliefert sind. Es sind Umstände, die aber auch die Voraussetzungen für den Widerstand gegen manipulierte Aussagen und erzwungene Geständnisse liefern. Johann Lippet, Autor einiger Romane und Erzählbände über die dörfliche Welt des Banats, macht seine Leser in der Erzählung Über...
in der Bundesrepublik Deutschland
Mehr als zwanzig Jahre nach der letzten Ausreisewelle der deutsch schreibenden und publizierenden Autoren aus Siebenbürgen, dem Banat und Bukarest drängt sich eine Reihe von Fragen auf, die in der Zwischenzeit von der rumäniendeutschen Germanistik unter unterschiedlichen Aspekten aufgeworfen worden sind. Es handelt sich dabei auch um den Zusammenhang zwischen literarischem Erbe, Bewahrung kultureller Traditionen, historischer Aufarbeitung von politischer Verfolgung und ideologischen Irrwegen, Beurteilung ästhetischer Verfahren und die Rezeption einer randständigen Literatur im bundesdeutschen Literaturbetrieb. Einige dieser Themen sind in den 1990-er und in den 2010-er Jahren auf wissenschaftlichen Tagungen in Deutschland und in Rumänien bereits erörtert worden. Parallel zu diesen Veranstaltungen trafen sich die aus ihrer ehemaligen Heimat stammenden Schriftsteller mit den wenigen in Rumänien verbliebenen Autoren zu Lesungen und Diskussionen im Banat und in Siebenbürgen, aber auch im Rahmen von Lesungen der germanistischen Fakultät an der Universität in Bukarest.
Die vom 16.18. November 2012 in die Tagungsstätte Heiligenhof (Bad Kissingen) eingeladenen Literaten und Literaturwissenschaftler sollten sich, angeregt von den Veranstaltern, einer von diesen oben genannten Unternehmungen abweichenden Fragestellung widmen. Unter dem Thema Heimat gerettete Zunge. Die rumäniendeutsche Literatur in der Bundesrepublik Deutschland hatten die renommierten Vertreter der schreibenden Zunft aus den Bereichen Prosa, Lyrik, Dramatik und Essayistik die Aufgabe, aus ihren Texten zu lesen und sich anschließend den Fragen der Moderatoren und des Publikums zu stellen. Gemeinsam mit zwei vom ExilP.E.N. eingeladenen Vertretern der Banater Literaturszene sollte auf dieser Tagung auch der Erfahrungsaustausch zwischen den in der Heimat verbliebenen und den in Deutschland angekommenen Protagonisten bewertet und befördert werden.
Auf dem Hintergrund dieser beiden Intentionen spielte der Aspekt der politischen und ideologischen Implikationen, denen der Literaturbetrieb in Rumänien ausgesetzt war, nur eine marginale Rolle. Vielmehr ging es in den durch die Moderatoren eingeleiteten Lesungen um die thematischen und ästhetischen Implikationen in den Werken der vortragenden Autoren und ihre Rezeption in den bundesdeutschen Fachzeitschriften, wie auch zum Teil um das Echo solcher Texte in deutschsprachigen Zeitungen in Rumänien. Dieser wechselseitige Transfer wurde durch die themenbezogenen Referate der Literaturwissenschaftler insofern bereichert und vertieft, als die auf der Tagung präsentierten und in den Tagungsband nunmehr aufgenommenen Essays ein breites Spektrum an literaturhistorischen, rezeptionsästhetischen und literatursoziologischen Aspekten anboten. Diese zwischen die Lesungen eingeschalteten Referate wie auch an die jeweiligen Lese-Panels anschließenden Vorträge trugen zu den besonderen Lerneffekten der Tagung bei.
Heimat gerettete Zunge? Der Versuch einer Antwort wirft eine Reihe von Implikationen auf, die in neue Fragestellungen münden wie: Was und wie wurde etwas gerettet von dem literarischen Erbe, das in den schöpferischen Werken der auf Deutsch schreibenden Autoren angelegt ist? Welchen Rezeptionsbedingungen sind Texte ausgesetzt, die meist unter großen Schwierigkeiten und noch dazu in zensierter Fassung verlegt wurden? Was also ist gerettet worden, aufgehoben in der Literaturkritik, eingemündet in die entstehende Literaturgeschichte? Was ist und was wird bewahrt, um denen etwas zu überliefern, die in der deutschen Sprachheimat geblieben sind und seit 1990 von den literarischen Werken ihrer Schriftsteller und Dichter aus den wieder entstandenen kleinen Verlagsanstalten geistig versorgt werden? Auf welche Weise aber werden auch die aus ihren rumänischen Siedlungsorten in die Bundesrepublik Deutschland ausgewanderten Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen mit Büchern ihrer Lieblingsautoren bekannt gemacht? Die sich daraus ergebende Frage zielt auf die Brückenfunktion derjenigen Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die in dieser Anthologie versammelt sind wie auch derjenigen Autorinnen und Autoren, die sich wie Herta Müller und Richard Wagner einer weltweiten und deutschlandweiten Anerkennung erfreuen und aus unterschiedlichen Gründen nicht an der Tagung teilnehmen konnten. Es bleibt also die Frage: Welche literarischen Schätze transportieren diese Werke aus den beiden, nunmehr sprachlich ausgedünnten großen Siedlungsgebieten in die bundesrepublikanische literarische Öffentlichkeit? Mit welchen transformierten ästhetischen Verfahren sind diejenigen Texte ausgerüstet, die vor allem in den letzten zwanzig Jahren für den deutschen Literaturmarkt geschaffen wurden?
Erweist sich die Zungen-Metaphorik in dem eingangs zitierten Gedicht von Hellmut Seiler als Wegweiser in eine vielschichtig zerklüftete, von vielen Unstimmigkeiten und Entfremdungen erfüllte Heimat als der existentiell und schöpferisch ideale neue Ort? Mit welchem Zungenschlag sind die mehr als drei Dutzend bereits in Rumänien publizierenden Autorinnen und Autoren in der neuen Heimat angekommen? War es noch eine alte Heimat, die nach den Worten von Seiler sich an sich selbst verschluckt? Oder ist es nunmehr eine neue Heimat, in der die Angekommenen sich wieder einer Sprache bedienen, in der die geretteten sprachlichen Wurzeln neu verortet werden müssen? In der ihr randständiges Idiom sich auf dem umkämpften literarischen Feld behaupten muss. Und nicht zuletzt: Gibt es bemerkenswerte literarische und ästhetische Ansätze, in denen die Abwendung von den tradierten stilistischen und ethnisch fundierten, oft auch ideologisierten Schreibweisen die Voraussetzung für den Durchbruch auf dem turbulenten deutschsprachigen Literaturmarkt sind? Zeichnen sich fremde Verfahren ab, die gewohnte, eingefahrene Darstellungen von historischen Abläufen und pathologischen Handlungsweisen durchbrechen?
Mit solchen Fragestellungen ausgerüstet erkundigen sich die Veranstalter der Tagung, neben den bereits erwähnten ästhetischen Aspekten der abgedruckten Texte, auch nach dem informativen Gewinn von Texten. Sie führen uns nicht nur in die alte Heimat, sondern entfernen sich aus den nationalen Gefilden, um sich in transkulturellen Kontexten mit Cross-over-Erkenntnissen aus unterschiedlichen Wahrnehmungsbereichen auszustatten. Auf diesen breit angelegten Textfeldern kommen unterschiedliche perspektivische Einstellungen gegenüber der beschriebenen Welt zum Ausdruck. Das führt unter anderem auch zur Frage, ob bestimmte narrative Verfahren an Attraktivität gewinnen, wenn sie sich eines regionalsprachlichen Kolorits bedienen, um kulturelles Substrat zu retten und auch die Generationen übergreifende Gedächtnisarbeit zu fördern.
Die vorliegenden Tagungstexte und ergänzenden Beiträge vermögen zum Beispiel bestimmte Einblicke in politisch brisante Phasen der rumänischen Nachkriegsgeschichte zu geben. Hans Bergel, der seit 1968 in der Bundesrepublik lebt, hat in zahlreichen Romanen und Erzählbänden seine repressiven Erfahrungen mit dem kommunistischen Regime aufgearbeitet. In den beiden Erzählungen Der Barackentrottel und Der Major und die Mitternachtsglocke, die den Bereich der Prosa einleiten, berichtet ein Ich-Erzähler über seine Begegnung mit Häftlingen in einer Baracke im Straflager und über den Ablauf einer Minute vor der Urteilsverkündigung im berüchtigten Kronstädter Schriftsteller-prozess im Jahr 1959. In beiden narrativen Strukturen überwiegt die distanzierte Beschreibung der Umstände, unter denen die Häftlingen und Untersuchungsgefangenen der staatlichen Willkür ausgeliefert sind. Es sind Umstände, die aber auch die Voraussetzungen für den Widerstand gegen manipulierte Aussagen und erzwungene Geständnisse liefern. Johann Lippet, Autor einiger Romane und Erzählbände über die dörfliche Welt des Banats, macht seine Leser in der Erzählung Über...