Friedrich Georg Jünger ist der bei weitem weniger bekannte Bruder des Jahrhundert-Seismographen Ernst Jünger. Aus seiner Feder stammen grandiose Gedichte, seine Überlegungen zur Perfektion der Technik (Frankfurt: Klostermann 1946) nahmen die grüne Fundamentalkritik am Fortschritt um drei Jahrzehnte vorweg, und seine Interpretation des altgriechischen Götter- und Halbgötterpersonals (Griechische Mythen, Frankfurt: Klostermann 1947, zuletzt 1994) ist in seiner Stoßrichtung verblüffend und fruchtbar. Unter anderem deutet Jünger darin den Prometheus als einen »Arbeiter« und fügt nicht nur damit der ebenso hellsichtigen wie schockierenden Prophetie von »Herrschaft und Gestalt« des Arbeiters durch seinen Bruder Ernst die schwarze Seite hinzu.

Dem Schaffhausener Schriftsteller Volker Mohr ist es mit Der Schlüssel gelungen, die spröden, kulturkritischen Schriften Friedrich Georg Jüngers in einen Prosatext zu übersetzen, ohne daß dieser unter dem Gewicht der ungewohnten, komplexen Gedanken zusammengebrochen wäre. Der Protagonist Kilian ist in seinem Haus eingesperrt, er hat seinen Schlüssel verlegt und muß einen anderen finden. Es öffnet sich für ihn eine Kellertür zu einer Parallelwelt, in der die Mechanismen der Verwaltungsgefangenschaft des Menschen unverdeckt zutage treten. Dort liegt die in der Staatsschuld versteckte Pro-Kopf-Verschuldung des einzelnen tatsächlich in einem Dossier vor, dort ist die Welt fugenlos, der Zugriff lückenlos, der organische Zusammenhang zerstückelt durch den Versuch, einzelne Elemente in den Griff zu bekommen. Der Apparat, der dies vermag, nennt sich "Die Prometheus", und mit eindrücklichen Schilderungen und Dialogen gelingt Mohr (ganz im Sinne F. G. Jüngers) die Umdeutung dieser Figur weg von einem Widersacher gegen die Götter zum Wohle der Menschen hin zu einem Frevler am göttlichen Maß. »Dieses Maß ist es, das durch ungeheure Anstrengungen, durch Organisation und Verwaltung wieder gewonnen werden soll«, läßt Mohr eine Frau sagen, die schon mehr weiß als Kilian und die damit dem Apparat nicht Bösartigkeit, sondern Hilflosigkeit attestiert.

Diese Einschätzung ist ein wichtiges Kennzeichen für die ruhige, letztlich auf Heilung angelegte Erkenntnisarbeit Jüngers ebenso wie Mohrs. Den Ausweg nämlich weist das Spiel, nicht das infantile natürlich, sondern die Lust am Wettkampf und an der Spannung. Auch in der Beschreibung dieser zweiten Parallelwelt, einer Spielwelt, erweist Mohr sich als gründlicher Leser F. G. Jüngers, der in seinem Buch Die Spiele (Frankfurt: Klostermann 1953) unter anderem schreibt: »In der Welt des Spiels sind weder demokratische noch despotische Regierungen möglich. Sie würde, schon weil Symmetrie und Rhythmus in ihr zunehmen, streng hierarchisch sein, zugleich aber von einer für uns unvorstellbaren Freiheit.«

So ist auch Mohrs Spielwelt: Alles ist auf ungezwungene Weise am angemessenen Platz, aber keinesfalls gleichberechtigt. Der Roman verpaßt auch den entscheidenden Schritt weg von dieser Utopia nicht: Kilian verläßt die Spielwelt wieder, weiß aber um die Tür zu ihr. Zurechtkommen muß er dort, von wo aus er zur Erkenntnis aufbrach. Und der verlorene Schlüssel hat sich natürlich auch wieder eingefunden – spielerisch.

Wer nach der Aktualität F. G. Jüngers sucht, muß Volker Mohr lesen!