vergriffen

Nach dem knappen Sieg, den Angela Merkel bei der Bundestagswahl im Herbst 2005 errungen hatte, ahnte kaum jemand, daß sie zwölf Jahre regieren würde und sich jetzt anschickt, die Regierungszeiten von Konrad Adenauer und Helmut Kohl
zu überholen bzw. zu egalisieren. Angesichts ihrer Herkunft aus der DDR und der damit notwendig verbundenen kurzen Anlaufphase, grenzt diese Tatsache an ein Wunder. Nach acht Jahren CDU-Mitgliedschaft war sie Generalsekretärin, nach zehn Jahren Parteivorsitzende und nach 15 Jahren Kanzlerin. Der Schlüssel zu ihrem Erfolg liegt in der von ihr selbst so oft beschworenen Alternativlosigkeit.

Für den Wähler stellte sich die Alternativlosigkeit zunächst nur mittelbar dar. Wer Rot-Grün nicht wollte, mußte CDU und damit Merkel wählen. Doch ihre eigentliche Macht beruht auf einer pragmatischen Prinzipienlosigkeit, mit der
sie althergebrachte CDU-Überzeugungen (den »Markenkern«) über Bord warf und damit den gesellschaftlichen Mehrheiten folgte. Daß sie damit einen Teil der klassischen CDU-Wähler vor den Kopf stieß, konnte ihr egal sein, weil es zu ihr keine Alternative gab. Und ob der Wähler mit geballter Faust sein Kreuz bei der CDU machte oder ganz zu Hause blieb, lief bei der strukturellen Schwäche, in die sich die SPD hineinmanövrierte, aufs gleiche hinaus: Merkel bleibt Kanzlerin.

Merkels politische Gegner sind kaltgestellt, weil sie ihre Agenda (Einwanderung, Energiewende, Schuldenunion etc.) umgesetzt hat. Ihre eigentlichen Freunde fühlen sich überfahren und können nicht grundsätzlich werden, weil sie sonst nicht mehr ihre Freunde sein könnten. Daher stellt sich die Frage, woran man Merkels Kanzlerschaft mißt. Geht es um den Wohlstand der Bürger oder um die Souveränität Deutschlands? Geht es um das Bewahren der Identität oder geht es um die Außenhandelsbilanz? Oder geht es gar um den Markenkern der CDU und die Angst vor einer neuen Partei, die den Kampf um den parlamentarischen Futtertrog heftiger macht? Je nachdem, wonach man Merkels Kanzlerschaft bewertet, wird man zu anderen Ergebnissen kommen. Ein Ergebnis könnte sein, daß Merkel eine gute sozialdemokratische Kanzlerin ist, die endlich die Konservativen aus der babylonischen CDU-Gefangenschaft befreit hat. Doch blicken wir auf die Fakten: Welchen Herausforderungen mußte sich Merkel stellen, welche verhängnisvollen Weichenstellungen hat sie vollzogen? Wie geht es weiter?